Abandon
- Brockhaus Konversations-Lexikon
Abandon, dem Seerecht angehöriger Ausdruck von verschiedener Bedeutung. 1) A. im Seeversicherungsrecht (im franz. Seerecht délaissement). Nur hier kommt A. im geltenden deutschen Seerecht als technischer Begriff vor. Er bedeutet das Recht des Versicherten, gegen Abtretung der in betreff des versicherten Gegenstandes ihm zustehenden Rechte von dem Versicherer (Assekuradeur) die Zahlung der Versicherungssumme zum vollen Betrage zu fordern, ohne daß der wirkliche Verlust des versicherten Gegenstandes feststeht. Der A. bedeutet eine Ausnahme von der Regel, daß der Versicherer nur den wirklich eingetretenen Verlust zu ersetzen hat. Er ist in zwei Fällen gestattet: einmal, wenn das Schiff verschollen ist (s. Verschollenheit des Schiffs), zweitens, wenn der versicherte Gegenstand durch Embargo (s. d.) oder dadurch bedroht ist, daß Schiff oder Güter von einer kriegführenden Macht aufgebracht, durch Verfügung von hoher Hand (s. d.) angehalten oder durch Seeräuber genommen sind. Im letztern Falle muß hinzukommen, daß Schiff und Güter binnen einer bestimmten Frist, die je nach dem Orte, in dem Aufbringung, Anhaltung oder Nehmung geschehen ist, 6, 9 oder 12 Monate beträgt, nicht freigegeben sind. Die Erklärung des A. ist nur innerhalb einer bestimmten Frist, der Abandonfrist, die 6 oder 9 Monate beträgt, zulässig. Sie muß ohne Vorbehalt oder Bedingung erfolgen, sich auf den ganzen, den Gefahren der See ausgesetzten versicherten Gegenstand beziehen und ist unwiderruflich. Der Versicherte hat dem Versicherer auf dessen Verlangen über den durch die Erklärung des A. eingetretenen Übergang der Rechte eine beglaubigte Anerkennungsurkunde, den sog. Abandonrevers, zu erteilen. Die Art. 865-875 des Deutschen Handelsgesetzbuchs handeln vom A. Die §§. 116-126 der Allgemeinen Seeversicherungsbedingungen von 1867 (s. Seeversicherungsbedingungen) stimmen damit fast wörtlich überein. Die Bremer Seeversicherungsbedingungen erkennen dagegen einen A. überhaupt nicht an. Die meisten ausländischen Seerechte gestatten den A. in einer größern Anzahl von Fällen als das Deutsche Handelsgesetzbuch. Am weitesten in der Gewährung des A. geht das franz. Recht (Code de commerce Art. 369-375). Ihm folgen das span., portug., holländ., ital. und belg. Seerecht. Das engl. Seerecht zählt nicht bestimmte einzelne Fälle der Zulässigkeit des A. auf. Es hat vielmehr den Begriff des Totalverlustes weiter gefaßt und verpflichtet den Versicherer auch in den Fällen seines konstruktiven Totalverlustes (s. Konstruktiver Totalverlust) zur Zahlung der Versicherungssumme gegen A. - In Deutschland wird auch von einem A. des Versicherers gesprochen. Man versteht darunter den Fall, daß nach Eintritt eines Unfalls der Versicherer binnen kurzer Frist (3 Tage) die volle Versicherungssumme bezahlen zu wollen erklären und sich dadurch von weitern Verbindlichkeiten aus dem Versicherungsverträge befreien kann. Diese Befugnis hängt damit zusammen, daß nach deutschem Recht der Versicherer außer der vollen Versicherungssumme noch andere, vor dem völligen Untergang der Sache aufgewendete Beträge sowie die Kosten der Ermittelung und Feststellung des Schadens dem Versicherten zu bezahlen verpflichtet sein kann (Deutsches Handelsgesetzbuch Art. 844-847; Allgemeine Bedingungen 88.92-95). - 2) A. des Schiffsvermögens (fortune de mer) oder der Ladung ist das Recht des Reeders oder der Ladungsinteressenten, sich von gewissen Verbindlichkeiten dadurch zu befreien, daß sie statt ihrer Erfüllung auf das Schiffsvermögen oder auf die Ladung, zu Gunsten der Gläubiger verzichten. Dieses System, das von dem Princip ausnahmsloser persönlicher Haftung des Reeders und der Ladungsinteressenten ausgeht, ist das sog. Abandonsystem. Dasselbe gilt im franz., belg., holländ., portug., ital. und finn. Seerecht; mit Abweichungen auch im spanischen sowie im nordamerikanischen. Dagegen herrscht im deutschen, schwed., norweg. und engl. Seerecht nicht das Abandonsystem, sondern das sog. Exekutionssystem (s. d.). 3) Abandonniert, aber nicht im technischen Sinne, heißt ein Schiff auch dann, wenn es von Schiffer und Mannschaft auf offenem Meere oder an einer fremden Küste verlassen ist. Hierin liegt regelmäßig kein Aufgeben des Eigentums am Schiffe. Vielmehr treten, wenn jemand das verlassene Schiff in Sicherheit bringt, die Grundsätze der Bergung (s. Bergen) ein. - Vgl. Aschenheimer, Der A. des Versicherten (Berl. 1893).